Chronik

Am 18.8.2007 wurde die Grundschule in der Lindenstraße 100 Jahre alt. Dieses Jubiläum soll Anlass sein, uns mit ihrer Geschichte zu beschäftigen. Das imposante Backsteingebäude hat unterschiedliche Regierungsformen erlebt und überlebt. Die Regierungen kamen und gingen, aber die Schule blieb bestehen und hat stets das Beste getan, Wissen an die Schüler weiterzugeben.

 

Die Schule durchlebte die Kaiserzeit, die Weimarer Republik, die Hitler- und die DDR-Zeit, die Wende und befindet sich nun in einer Demokratie, der BRD. Jede Zeit prägte den Unterricht und wirkte auf die Erziehungsziele. Die Schule war immer ein kultureller Mittelpunkt der Stadt.

 

Die Zeit vor 1907

Das Erziehungsziel war, die Kinder zur Frömmigkeit, zum Gehorsam, aber auch zur Königstreue und Vaterlandsliebe zu erziehen. Der Unterricht erfolgte im Mehrstundensystem, d. h. der Lehrer arbeitete mit einer, selten 2 Klassenstufen, die übrigen Schüler waren still beschäftigt, sie mussten schreiben oder schriftlich rechnen. Dann wurde getauscht und das mehrmals.

 

Der Inhalt des Unterrichts bestand anfangs im Wesentlichen im Kennenlernen von Buchstaben, dem Lesenlernen von Bibeltexten, dem Auswendiglernen von Kirchenliedern und Nacherzählen von biblischen Geschichten.

 

Das „Lesebuch" waren die Bibel und das Gesangbuch. Vielleicht benutzte der Lehrer auch das von Eberhard von Rochow verfasste Lesebuch „Der Kirchenfreund". Geschrieben wurde die Gotische oder Deutsche Schrift. Die Kinder lernten die Zahlen kennen, das Zunehmen und Abnehmen, auch das Malnehmen und Teilen. Sie besaßen ein Rechenbuch.

 

Erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Vermitteln von Kenntnissen umfangreicher, das lag aber im Ermessen des Lehrers, da es keine speziellen Lehrpläne gab. Großer Wert wurde auf das Singen von Kirchen-, Vaterlands- und Volksliedern gelegt. Da die Klassen groß waren, war es notwendig, dass absolute Disziplin herrschte. Diese konnte der Lehrer damals nur mit Hilfe von Stock und Rute herstellen. Manche Lehrer machten davon regen Gebrauch.

 

Die Kaiserzeit

Um die Moral in der Schule und die Zusammenarbeit mit den Eltern zu fördern, erließ die Schuldeputation 1910 im „Rhinower Anzeiger" eine Bekanntmachung mit einigen Wünschen:

 

1. Für die Kinder,

dass sie gewaschen, mit sauberen Kleidern und möglichst in Schuhen zur Schule kommen sollten, dass sie die Bücher und Hefte sauber halten und regelmäßig und pünktlich zur Schule kommen. Das Fehlen beim Unterricht müssen die Eltern persönlich oder schriftlich entschuldigen.

 

2. Für die Eltern,

  • sie sollten nie herabwürdigend über Schule und Lehrer sprechen

  • sie sollten in Gegenwart der Kinder alles vermeiden, was gegen Anstand und gute Sitten verstößt

  • Man freue sich nicht über vorlaute Reden der Kinder, sondern erziehe sie zur Bescheidenheit.

  • die Eltern sollten für ausreichenden Schlaf der Kinder sorgen

  • jeder Genuss alkoholischer Getränke ist schädlich für die geistige und körperliche Entwicklung des Kindes und muss unterbunden werden

  • die Eltern sollten sich nach den Leistungen der Schüler erkundigen

 

Neben dem Lernen wurde von allen Schülern besonders des Kaisers Geburtstag gefeiert. Es wurden auch klassenweise Ausflüge in die Umgebung und nach Potsdam unternommen.

 

Die Weimarer Republik

Die Einführung der Weimarer Verfassung brachte auch für die Schulen Änderungen. Der Einfluss der Kirche wurde zurückgedrängt. Lehrer und Schüler mussten umdenken. Das Idol Kaiser und Kaiserreich war weggebrochen. Jetzt war Deutschland eine Republik.

 

Das Lehrer-Schüler-Verhältnis in der Kaiserzeit als auch in der Weimarer Republik war so, dass der Lehrer die Respektperson darstellte, vor der der Schüler Angst hatte - Er hatte absolut zu gehorchen -. Wegen selbst kleiner Vergehen, Faulheit oder Unaufmerksamkeit regierte der Rohrstock oder es wurde anderweitig körperlich gestraft. Amtliche Vorschriften legten sogar fest, welche Strafen bei entsprechenden Vergehen anzuwenden waren. Selbst bei unrichtigen Antworten oder dem Unvermögen eines Kindes, eine schriftliche Aufgabe zu lösen, gab es Backpfeifen oder Schläge. Nur wenige Lehrer bauten ein Vertrauensverhältnis zu den Schülern auf.

 

Die Hitlerzeit

Das Erziehungsziel der faschistischen Ära war, die Schüler für den Nationalsozialismus zu begeistern und zu beweisen, dass die germanische Rasse - insbesondere die Deutschen- die Herrenrasse ist und alle anderen Rassen und Völker minderwertig seien, besonders die Juden, und daher bekämpft werden müssen.

 

Für die Schüler wurden verschiedene Veranstaltungen durchgeführt:

Marschieren mit Musikkapellen, Fahrten, Sportveranstaltungen, Zeltlager mit Lagerfeuer, eindrucksvolle Fahnenappelle auf dem Hof usw. Im Unterricht wurden die Grundkenntnisse von den Lehrern streng und gewissenhaft vermittelt, allerdings waren die Unterrichtsfächer von faschistischem Ideengut durchsetzt. Die Lesebücher waren der neuen politischen Richtung angepasst. Die Lesestoffe beinhalteten viele Erzählungen von Kriegshelden, die für Deutschland ihr Leben eingesetzt hatten, aber auch viele Heldengeschichten aus der deutschen Sagenwelt.

 

Auf die sportliche Betätigung wurde großer Wert gelegt, denn es sollte eine Körperertüchtigung mit Drill und Mutproben sein. Der Schwimmunterricht erfolgte in der Badeanstalt am Rhin und auch am Altgarzer Wehr. Kopfnoten wurden erteilt für: Betragen, Fleiß, Aufmerksamkeit, Ordnung. Es fällt auf, dass fast alle Schüler das Prädikat „sehr gut" für Betragen erhielten. Grund: Prügelstrafe war erlaubt.

 

Die Nachkriegszeit und DDR - Zeit

Die Rhinower Schule wurde Einheitsschule mit folgenden Zielen:

  1. Beseitigung aller militärischen Einflüsse auf die Kinder

  2. Beseitigung des Bildungsmonopols der Junker und Kapitalisten

  3. Besondere Fürsorge für Arbeiter- und Bauernkinder

  4. Erhöhung des Bildungsniveaus

  5. Erziehung zu Völkerfreundschaft und Friedensliebe

  6. Trennung von Schule und Kirche

  7. Die Prügelstrafe ist strengstens verboten

 

Das Lehrer-Schüler-Verhältnis änderte sich. Der Lehrer wurde vom Schüler respektiert, war aber auch Ansprechpartner und Vertrauensperson.

 

Das Erziehungsziel in der DDR war, die Schüler zu allseitig gebildeten sozialistisch denkenden und handelnden Persönlichkeiten zu erziehen, die sich in ein Kollektiv einordnen und sich darin bewähren. Dabei stand die deutsch-sowjetische Freundschaft im Vordergrund. Die Sowjetunion galt als Vorbild.

 

Die Schule seit der Wiedervereinigung 1990

Die Erziehungs- und Bildungsziele, die eine Einheit bilden sollten, sind nun darauf gerichtet, die Schüler bei der Entwicklung ihrer individuellen Persönlichkeit zu unterstützen, ihr Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu stärken und ein positives Selbstwertgefühl herauszubilden. Besondere Begabungen müssen erkannt und gefördert werden. Ihre Verschiedenheit ist anzunehmen und durch Differenzierung im Unterricht individuell zu fördern. Sie sollen unterschiedliche Lern- und Arbeitsformen kennen lernen, in denen sie allein oder mit anderen lernen können.

 

Bereits zum Schuljahr 1990/91 wurde die neue Grundschule mit sechs Klassen nach dem Schulgesetz der BRD gegründet. Aus der ehemaligen „Polytechnischen Oberschule. „Juri Gagarin" entstanden die Gesamtschule (Klasse 7-10) und die Grundschule (Klasse 1-6) mit 361 Schülern. Nach Umbau- und Renovierungsarbeiten wurde das ehemalige Schulgebäude in der Lindenstraße, in dem zuletzt der Hort untergebracht war, zum Hauptsitz der Grundschule. Das ehemalige 4-Klassen-Gebäude im Schulhof, das ab etwa 1972 Wirtschaftsgebäude war, konnte wieder Schulzwecken zugeführt werden. Es entstanden 4 Klassenräume und zunächst eine Nähstube und eine Küche, die von der Gesamtschule für den Hauswirtschaftsunterricht genutzt wurde. Die Klassen 5 und 6 mussten aus Platzgründen im Gebäude der Gesamtschule verbleiben.

 

Manche Lehrer unterrichteten sowohl in der Grundschule als auch in der Gesamtschule. Der Hort fand seine Unterbringung im 2. Stockwerk des Hauptgebäudes. Verwaltungsmäßig ist er dem Amt unterstellt. Die bereits zu Ende des Jahres 1994 begonnene Umgestaltung des Schulhofs mit Hilf von Fördergeldern konnte Ende Mai abgeschlossen und am 1.6.95 mit einem Schulfest feierlich und fröhlich übergeben werden.

 

Aus Anlass ihres 5-jährigen Bestehens erhielt die Grundschule 1996 zum 100.Todestag von Otto Lilienthal den Namen „Lilienthal-Grundschule" im Gedenken an die Brüder Otto und Gustav Lilienthal. Die Brüder waren in ihrer Beharrlichkeit in der Zielstellung ein Vorbild für die Schüler. Die Bürgermeisterin, Frau Sybille Heling, übergab eine Tafel mit dem künftigen Namen der Schule, die später am Schuleingang befestigt wurde.

 

1997 konnte die vollständige Rekonstruktion des Gebäudes mit Hilfe von Fördergeldern abgeschlossen werden, dazu gehörten: Dacherneuerung, innerer Ausbau des Bodens, Erneuerung der Fassade, Einsetzen neuer Fenster und Neugestaltung des Vorplatzes der Grundschule. Durch diese Maßnahmen gehört die Rhinower Grundschule zu den schönsten Schulgebäuden im Kreis.

 

 

(Der Text der Chronik wurde zusammengetragen und bearbeitet von Frau Ruth Fleischmann. Rhinow, Mai/Juni 2007)